Was bedeutet Sehnsucht?
Die Schauspielerin und Chansonnière Hildegard Knef sang, als sie im Ausland weilte:
„Ich hab’ so Sehnsucht nach dem Kurfürstendamm!“ Damit meinte sie nicht einfach den realen Boulevard in Berlin mit seinen Geschäften und Restaurants, sondern sie verklärte ihn zu einem Sehnsuchtsort, der zutiefst Heimat für sie bedeutete.
Wenn ich sage, ich habe Sehnsucht nach einem bestimmten Menschen, einem Tier oder einem Ort, dann will ich damit sagen, nach der Liebe und Geborgenheit, die ich dort finde oder zumindest vermute.

Sehnsucht verklärt und hat einen Idealzustand vor Augen.
Nur das lässt sie so inniglich sein. Je mehr ich fähig bin zu idealisieren, desto stärker wird meine Sehnsucht, dieses Ziel zu erreichen.
Wir denken an die Sehnsucht nach einem paradiesischen Zustand, in dem alle Wesen friedlich und wertschätzend miteinander und mit der Natur umgehen. Aus dieser Sehnsucht sind Weltreligionen entstanden!
Sehnsucht strebt immer nach mehr. Es ist ihr Wesen, sich nicht mit dem Ist-Zustand zu begnügen. Sie ist bestrebt, aus allem und allen Wesensteilen das volle Potenzial herauszuholen.
Ich spreche hier nicht vom ‚Optimierungswahn‘ einiger Personen in Bezug auf ihre äußere Erscheinung, denn der greift zu kurz und strebt in den meisten Fällen lediglich ein ‚rundum glückliches‘, befriedigtes Ego an.
Die höchste psychische Sehnsucht dagegen lotet die Abgründe des Wesens aus und fördert zutage, d.h. bringt ins Bewusstsein, was sich als zerteilt und uneins mit der Welt empfindet und nach einem innigen Einssein sehnt. Sie ist wie eine Welle, die Verborgenes nach oben spült.

Sehnsucht kann das Schöpfertum beflügeln. Aus tief empfundener Sehnsucht sind die schönsten Kunstwerke entstanden.
Lasst uns die Sehnsucht pflegen!
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